Pfarrgemeinde St. Ludger Selm

Pfr. Joh. Gospos: Predigt zu den Hasskommentaren anlässlich der Ermordung von zwei Polizeibeamten

Liebe Schwestern und Brüder!

In der Nazi – Zeit und später auch in der DDR gab es ein Theaterstück, das nicht gespielt werden durfte, das einfach nicht auf den Spielplan kam: es war das Drama „Hamlet, Prinz von Dänemark“ von William Shakespeare. In diesem Stück gibt es einen berühmten Satz, der für die Machthaber damals eine einzigartige Provokation war: „Es ist etwas faul im Staate Dänemark.“ Immer wenn der Schauspieler, der den Hamlet spielte, diesen Satz rezitierte, kam er nur bis zum: „Es ist etwas faul im Staate ..“. Der Rest ging in tosendem Beifall unter. Das war natürlich ein Affront gegen die Machthaber damals.

Leider müssen wir heute wieder sagen: „Es ist etwas faul im Staate.“ Gemeint ist diesmal aber nicht die Regierung oder der Staat als Organisation, sondern unsere Gesellschaft. Jede Gesellschaft, jede Gemeinschaft, braucht Regeln, um existieren zu können. Ohne solche Regeln, besser gesagt Gesetze, ist ein friedliches Zusammenleben nicht möglich und würde im Chaos, in der Anarchie enden. Es würde ein Kampf aller gegen alle werden, in dem ein freies Leben in Sicherheit nicht mehr möglich wäre. Das kann vernünftigerweise kein Mensch wollen. Alle Gesetze aber fußen auf grundlegenden Werten, die jeder vernunftbegabte Mensch mit Herz verstehen und einsehen kann. Diese Werte haben Eingang gefunden in unsere Verfassung, dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, und hier ganz besonders in die Artikel 1 – 20. Dazu zählen die Würde des Menschen als höchster Wert, aber auch das Recht auf Leben, Freiheit, Besitz, Meinungsfreiheit und viele andere mehr. Auch das Recht auf Asyl fällt darunter. Nun fußen aber auch diese Werte auf Voraussetzungen, die laut Ernst-Wolfgang Böckenförde der säkulare Staat nicht selbst garantieren kann. Deshalb betonen ja auch alle Politiker immer wieder, dass die Grundwerte unserer Verfassung basieren auf dem Wertehorizont des christlichen Abendlandes und Menschenbildes.

Hier liegt aber m.E. genau das Problem: In dem Maße, in dem der christliche Glaube immer mehr verblasst, werden auch die auf diesem Glauben basierenden Werte immer hohler. Natürlich kann ich die Menschenwürde auch philosophisch begründen, wie es z.B. Immanuel Kant getan hat, aber lediglich der jüdisch-christliche Glaube, mit dem gerade in diesem Punkt auch der Islam übereinstimmt, liefert die stichhaltige Begründung für die unantastbare Würde jedes Menschen: Wir alle sind Ebenbilder Gottes und untereinander Brüder und Schwestern. Deshalb gebührt jedem Menschen Achtung, Respekt und Liebe.

Unsere Verfassung beruht auf dem Konsens der großen Mehrheit des deutschen Volkes, der deutschen Bürger und Bürgerinnen. Sie haben sich durch allgemeine Wahlen eine Legislative gegeben, die auf der Grundlage unserer Verfassung Gesetze verabschiedet, die von einer ebenfalls frei gewählten Exekutive umgesetzt, durchgesetzt und verteidigt werden, wobei jeder und jede das Recht hat, dagegen vor Gerichten zu klagen, wenn er/sie sich ungerecht behandelt fühlt. Ich vermute, dieses Recht ist längst nicht in allen Staaten dieser Welt gegeben.

Die Regierungen des Bundes und der Länder haben zur Durchsetzung und Verteidigung des legitimen Rechts die Organisationen der Polizei des Bundes und der Länder geschaffen, deren Beamte im Auftrag des Staates Recht und Ordnung verteidigen, die Bürger, ihre Rechte und lebensnotwendigen Werte schützen sollen. Der Staat jedoch ist kein abstraktes Gebilde. Der Staat ist geprägt durch seinen Souverän, ja der Staat ist untrennbar verschmolzen mit seinem Souverän – und der Souverän einer Demo-kratie sind die Bürger und Bürgerinnen. Wir also, die Bürger und Bürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland, egal wer wir sonst sind, egal woher wir kommen, sind der Staat. An uns ist es, dafür zu sorgen, dass unser Land, unsere Heimat, lebens- und liebenswert bleibt, dass alle Menschen, die hier leben, dies in Freiheit, im Rahmen und unter dem Schutz der Verfassung tun können.

Sie haben sicher in der vergangenen Woche von dem Doppelmord an den zwei Polizisten in Rheinland-Pfalz gehört. So schlimm und furchtbar diese Morde sind, so etwas hat es leider immer wieder gegeben. Aber das, was darauffolgte, ist maßlos, abscheulich und ekelerregend: Die Hasskommentare, die im Internet und in den Social Media auftauchten, waren von einer ungeahnten „Qualität“. Dass da das „Abknallen von zwei Bullenschweinen“ gefeiert wurde, war bei weitem noch die harmlosere Variante. Es ging hin bis zu Anleitungen, wie man Polizeibeamte in eine Falle locken könne, um sie dann zu ermorden. Das Ganze zeigt eine Entwicklung, die schon seit Jahren festzustellen ist.

Wer die Vertreter des Staates, seien es Politiker, Verwaltungsangehörige, Polizeibeamte, Feuerwehrleute oder Rettungsdienstler anpöbelt, verunglimpft, beleidigt, angreift, verletzt oder gar tötet, der greift nicht nur einzelne Menschen an – das allein ist schon schlimm genug – sondern den gesamten Staat – und der Staat sind wir!

Ich frage mich wirklich, was geht in den Hirnen solcher Menschen vor, die mittlerweile Vertreter jeglicher Autorität attackieren? Erstens sind alle diese Vertreter des Staates auch Menschen und haben damit die gleichen Rechte wie die, die sie attackieren. Zweitens schützen sie gerade durch ihr Tun auch die Rechte derer, die sie attackieren. Drittens zerstören diese Gegner unserer Gemeinschaft die Grundlage, auf der auch sie leben und agieren.

Hat sich irgendeiner dieser Gesellen mal Gedanken darüber gemacht, wie es wohl den Familien der beiden ermordeten Polizisten geht, die eh gerade das Schlimmste erleben, was Eltern passieren kann, nämlich das eigene Kind zu Grabe zu tragen? Hat sich irgendeiner dieser Gesellen einmal Gedanken gemacht, wie es den Vertretern der staatlichen Ordnung geht, wenn sie angegriffen werden? Hat sich irgendeiner dieser Gesellen mal Gedanken gemacht, wie „schön“ es ist, verfeindete Demonstrationsgruppen auseinander zu halten, bloß um deren freie Meinungsäußerung zu schützen? Hat sich irgendeiner dieser Gesellen mal Gedanken gemacht, was passiert, wenn Rettungskräfte angegriffen und an ihrer Arbeit gehindert werden? Ein großer Teil dieser Rettungskräfte macht seine Aufgabe freiwillig und ehrenamtlich. Die müssen das nicht tun. Was würde wohl passieren, wenn es in Abwandlung eines berühmten Zitates heißen würde: „Stell Dir vor, es passiert ein Unfall, ein Haus brennt, Menschen werden überfallen und ermordet – und keiner kommt mehr, um zu helfen.“? Vermutlich würden dann gerade die Schreihälse ziemlich blöd aus der Wäsche schauen.

Alle Menschen, die eine Aufgabe in unserem Staat und in unserer Gesellschaft übernommen haben, haben dies freiwillig getan und üben sie mit großem Engagement aus. Sie haben ein Recht darauf, von uns als Gesellschaft, als Bürgerinnen und Bürger geschützt zu werden – auch und gerade an Stammtischen, in Hinterzimmern, in Freundes- und Kollegenkreisen, im Internet und in den Social Media – wo auch immer! Das ist unser aller Aufgabe. Geschieht das nicht, so garantiere ich, wird unser Land und unsere Gesellschaft nicht mehr lange lebens- und liebenswert bleiben!
Johannes Gospos

Sie können sich die Predigt von Pfr. Gospos auch hier herunterladen: