Friedenskirche St. Fabian und St. Sebastian Selm

Friedenskirche
Friedenskirche

Die ehemalige katholische Pfarrkirche St. Fabian und Sebastian wird urkundlich erstmalig 1188 erwähnt. Wohl schon im 11. Jahrhundert gegründet, bildete sie den kirchlichen Mittelpunkt eines Haupthofes des Klosters Essen-Werden, der bereits 858 genannt wird. Selm war aber nicht eine der sächsischen Urpfarreien, sondern gehörte entweder zur Urpfarre Lüdinghausen oder Werne. Auch in Ondrup hatte eine Kirche bestanden. Von der Gründung im 11. Jahrhundert bis zur Säkularisation 1803 wurde Selm von Benediktinermönchen des Klosters Werden verwaltet.

Der bestehende Kirchenbau, eine spätgotische Saalkirche, die sich nach Westen durch ein angefügtes Seitenschiff zu einem Hallenraum erweitert, entstammt der Zeit um 1500. In den gotischen Kirchenbau integriert wurde der ältere Westturm, ein ehemaliger Wehrturm aus vorromanischer Zeit, an den das heutige Seitenschiff angebaut wurde, aber in niedrigerer Ausführung. Im Außenbereich dieses Seitenschiffs ist heute noch das ursprüngliche Eingangstor zur Kirche, die nicht vom Turm her (erst 1530 wurde das heutige Hauptportal im Turm geöffnet) zu betreten war, unter dem Nord-Süd-Fenster zu sehen. Nach einem Brand 1490 wurden die noch bestehenden romanischen Bauteile abgetragen und eine neue, insgesamt größere Kirche errichtet; Fundamentreste des kleineren Vorgängerbaus sind archäologisch nachweisbar. Nach drei weiteren Bauphasen, die durch Grabungen und auch im aufgehenden Mauerwerk dokumentiert werden konnten, stellt sich der heutige Bau vom baulichen Bestand in seiner letzten, sechsten, barocken Bauphase dar.

1907 als Pfarrkirche aufgegeben, diente die fortan so genannte Alte Kirche verschiedenen, auch profanen Zwecken; sie war Jugendheim, Bücherei, Bühnenraum, schließlich sogar Baustofflager. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte hier eine Kriegergedächtnisstätte eingerichtet werden, was jedoch nicht zur Durchführung kam. Erst unter Pfarrer Emil Müller erfolgte ab 1962 eine Wiederherstellung der Alten Kirche, die schließlich 1964 zur Wiedereinweihung führte. Nachdem 1965 im Kircheninneren ein unbekannter Soldat, der bei Altlünen gefallen war, beigesetzt wurde, konnte die ideelle Zielsetzung, aus der Alten Kirche eine Friedenskirche zu machen, Raum gewinnen, ausgehend von der Grabinschrift „Hier ruht ein unbekannter Soldat. Gedenket aller Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft. Betet für den Frieden“.

Friedenskirche Selm
Friedenskirche Selm

In ihrer Außenansicht ist die Friedenskirche ein schlichter, vierjochiger, gotischer Saalbau mit vorgesetztem älterem Turm, einem schmalen, zweijochigen Seitenschiff und einem Chor in 5/8-Schluß. Wuchtige Strebepfeiler begrenzen die Joche im Außenbau. Der Bau ist insgesamt mit einer gräulichen Schlämmschicht versehen, unter der man bei Untersuchungen direkt auf dem alten Wehrturm, dem heutigen Westturm der Kirche, die sogenannte „Pietra rasa“, einen rostrotfarbigen Putz, gefunden hat. Ebenso wurden im heutigen Mauerwerk Spolien aus der romanischen Kirche verwandt, die diese Putzschicht aufwiesen. Andere Spolien und Werksteine fanden sich in den Gewänden, die in der romanischen Kirche schon als Ausstattungsgegenstände gotischer Stilprägung vorhanden waren.

 

 

 

 

 

Friedenskirche innen
Friedenskirche innen

 

Das Innere überrascht nach dem Durchqueren des dunklen Turmuntergeschosses – hier werden die unterschiedlichen Bauphasen, die Unregelmäßigkeiten in der Architektur mit sich brachten, sichtbar – durch die relative Weite des Saalbaues und die helle Raumwirkung. Die gotischen Fenster sind insgesamt modern und farblos verglast; ältere Verglasung hat sich nicht erhalten.

 

 

 

Besondere Bedeutung erhält die Selmer Friedenskirche durch ihre bemerkenswerte, sehr dekorative Gewölbemalerei aus der Zeit um 1520/30 in den beiden westlichen Jochen des Hauptschiffes und den beiden Jochen des Seitenschiffes. Die Malereien sind bei der Restaurierung von 1964 aufgedeckt worden. Recht viel wurde wieder sichtbar gemacht, ohne dass man den gesamten Zyklus hätte freilegen können.

Gewölbemalerei
Gewölbemalerei um 1520

Die Deutung der Deckengemälde ist schwierig; auch weil deutende Bildunterschriften, von denen nur noch einzelne Buchstaben lesbar sind, im Lauf der Zeit mit verschwanden. Das bekannteste Einzelmotiv der Malereien stellt sicherlich das seit der Aufdeckung bereits mehrfach publizierte Gemälde des singenden Kalbes in der Wiege dar. Spuren von Ausmalungen sind auch im ersten Joch sichtbar (ein Sämann und ein Strauch).

Zwar ebenfalls fragmentarisch, aber dennoch deutlich als Erzählfolge ablesbar, hat sich im dritten und vierten Joch ein Bilderzyklus mit Geschehnissen des Alten und Neuen Testaments erhalten. Die Malereien sind al secco aufgetragen, also keine Fresken. Die Bildfolge ist schwierig zu interpretieren, eine Deutung findet sich in dem 2002 erschienenen Buch „Das singende Kalb in der Wiege“ von Pfarrer Siegfried Hoff: der sich eingehend mit der lkonographie der Deckenmalereien beschäftigt hat.

Kalb in Wiege
Das singende Kalb in der Wiege

Für Kirchenbesucher und Bewunderer der Deckengemälde wurde die Möglichkeit geschaffen, die Kirche bis zu einem schmiedeeisernen Gittertor im Innern betreten zu können. Ein Bewegungsmelder sorgt für Licht, auch in Richtung der Deckengemälde.

 

 

 

Der schlichte Altarraum ist nach den Erfordernissen des Zweiten Vatikanischen Konzils gestaltet. Altar, Wandtabernakel und Ambo bilden eine liturgische Einheit. Über dem Altar hängt einKreuz des Beckumer Künstlers Heinrich Bücker.

Teile der früheren Ausstattung etwa der Taufstein und auch Teile des beweglichen Mobiliars (das Chorgestühl, die Strahlenmadonna, ein Marienbild, die St.-Fabian- und Sebastian-Monstranz) wurden nach deren Erbauung aus der Friedenskirche in die St. Ludgerikirche übernommen. Einige barocke Skulpturen haben nach der Wiedereinrichtung der Friedenskirche im Chorraum Aufstellung gefunden: ein Putto, ein Johannes der Täufer, eine Josefsfigur mit dem Christusknaben, schließlich die beiden frühbarocken Figuren der Kirchenpatrone St. Fabian und St. Sebastian mit freigelegter erster Farbfassung.

Ein weiterer an der Westwand befindlicher Putto und zwei weitere aus dieser Serie, die in der Ludgerikirche nördlich und südlich der Orgeltürme hängen, stammen aus einem barocken Hochaltar, der in der Friedenskirche stand. Erwähnung verdient auch der aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammende kleinformatige Kreuzweg.

 

Grab des unbekannten Soldaten
Grab des unbekannten Soldaten

Im Seitenschiff der Friedenskirche – an der Westwand – befindet sich das Grab des unbekannten Soldaten. Der von Norbert Ahlmann, Lüdinghausen, gestaltete Stein trägt die Aufschriften „Gottes Wort. Ich vergesse dich nicht. Ich habe dich in meine Hände geschrieben Is 49,16.“ „Hier ruht ein unbekannter Soldat. Gedenket aller Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft. Betet für den Frieden.“ An der Stirnwand des Seitenschiffes ist ein einfaches Kreuz angebracht, von dem eine besondere und zur Friedenskirche beziehungsreiche Geschichte erzählt wird. Das Kreuz „erinnert an einen russischen Popen, der im letzten Krieg neben seiner Dorfkirche von Soldaten der roten Armee mit seiner Frau gehenkt wurde. Ihm hatte dieses Kreuz gehört, und einige Tage vor seinem gewaltsamen Tod hatte er es, als Zeichen der Versöhnung und des gemeinsamen Glaubens an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus, einem deutschen Soldaten geschenkt. Auf ungewöhnlichen Wegen und Umwegen gelangte es schließlich nach Selm.“

 

 

 

Heilige Fabian & Sebastian
Heilige Fabian & Sebastian

Nach einer Neugestaltung und Restaurierung des Innenraums 1994 haben alle gestifteten, vorhanden gewesenen Sakralgegenstände der Kirche wie die zwölf Apostelwandleuchten, die Bronzeblenden der ehemaligen Beleuchtung, aber auch die Kunstwerke wie die barocken Figuren der Patronatsheiligen Fabian und Sebastian, der Heiligen Johannes der Täufer und Josef mit dem Jesuskind, zwei Putten aus dem ehemaligen barocken Hochaltar und die Heiligenfigur „Anna mit der jungen Maria“, eine Originalsteinplastik aus den drei Frontnischen der „Kapelle auf dem Knapp, ihren Platz wieder erhalten oder sind wieder an die ihnen gebührende Stelle zurückgekehrt.

Die Mutter-Gottes-Plastik des Berliner Künstlers Rudolf Heltzel erhielt einen vorteilhafteren Platz an der einzigen Ganzsäule der Friedenskirche, nachdem sie durch Behandlung eines Selmer Fachmanns vom Holzwurmbefall gerettet wurde. Das Hauptemblem der ehemaligen Kommunionbänke der Ludgerikirche, der Pelikan, ein Symbol der Eucharistie, hat seinen Platz an der Frontseite des Zelebrationsaltars in der Friedenskirche erhalten. Die neue Orgel der Friedenskirche, ein Unikat der Orgelbaufirma Fleiter, Münster-Nienberge, erhielt ihre Holzverkleidung aus Bestandteilen eines filigran gearbeiteten neugotischen Beichtstuhls aus der Ludgerikirche, der als Ganzes nicht mehr zu erhalten war.

In der Sakristei wurde der Altar, der aus dem gleichen grünlichen Sandstein wie der Hauptaltar in der Hauptkirche bestand, abgetragen. Aus der Altarplatte fertigte man die neue Tabernakeleinfassung in der Mitte der Nordwand der Apsis, den Kredenztisch und die Sitzplatte der Priestersedilie. Aus den anderen noch übrigen Steinen wurde der Ambo und der Unterteil des Priestersitzes in organischer Einheit zum alten Zelebrationsaltar gemauert. Die bunt verglasten Fenster in der Sakristei wurden gestiftet. Sie zeigen neutestamentliche Motive aus der Akokalypse.
Die Fenster in der Friedenskirche wurden von der Forschungsstelle Glasmalerei inventarisiert und sind unter folgendem Link zu betrachten:
http://www.glasmalerei-ev.de/pages/b4323/b4323.shtml.