Pfarrgemeinde St. Ludger Selm

ermutigend – Impuls 30.06.2021

Portraits – die Hölle für den Photographen,
ein Graus für die Photographierten

Wahrscheinlich kennen Sie das auch: Wenn man photographiert wird – besonders als Portrait -, dann gefällt man sich nicht. „Ich sehe ja furchtbar aus!“ „Bitte schneiden Sie mich raus!“ und viele andere Äußerungen bekommen die Photographen dann zu hören. Diese versuchen wiederum mit allen Tricks die Portraitaufnahmen so gefällig wie möglich erscheinen zu lassen: Sie spiegeln die Aufnahme, so dass der / die Portraitierte im wahrsten Sinne sein Spiegelbild sieht, das er / sie ja kennt. Sie benutzen Weichzeichner, retuschieren die Bilder, zaubern „Fehler“ weg uvm. …

Als ich vor etlichen Jahren mal einen Kurs in Portraitphotographie bei Leica machte, sollten wir auf der Straße Leute portraitieren, nachdem sie zuvor ihr Einverständnis gegeben hatten. Eine Frau sagte zu mir: „Nein, danke! Vor dreißig Jahren wäre das etwas anderes gewesen – aber heute, nein.“ Mein Kursleiter sagte daraufhin zu mir, ich hätte zu der Dame sagen sollen: „Gnädige Frau, auf dem Bild sehen Sie garantiert 30 Jahre jünger aus.“ Technisch ist das tatsächlich überhaupt kein Problem. Aber ist das richtig? Eine Teilnehmerin hatte einen älteren Herrn portraitiert: einen Mann, der das Leben genossen hatte, was aber auch seine Folgen gezeigt hatte: Falten, Tränensäcke und anderes mehr. Sie wollte das wegretuschieren. Der Kursleiter und auch ich rieten ihr, das Bild so zu lassen, wie es war: ein wundervolles Portrait eines Charakterkopfes.

Vor vielen Jahren stieß ich auf ein Buch, in dem der Autor nur alte und kranke Menschen portraitiert hatte – also Menschen, die normalerweise nicht photographiert werden, es sei denn, man will ihren Mitleid erregenden Zustand dokumentieren. Doch genau darum ging es dem Photographen gar nicht. Er wollte ihre Ausstrahlung und Schönheit zeigen. Das ist ihm großartig gelungen.

Wir sind komischerweise nie mit uns und unserem Aussehen zufrieden. Dabei heißt es doch im Buch Genesis: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Als Abbild Gottes schuf er ihn.“(Gen 1, 27) Also hat er uns alle schön geschaffen, selbst wenn „die Nase schief im Gesicht sitzt.“