Vertrau mir! – Ich bin da. II
Vor vielen Jahren erstellten wir in meiner damaligen Pfarrei zusammen mit unserer evangelischen Schwesterpfarrei eine große Bibelausstellung. Die Bibeln erbaten wir uns als Leihgabe von unseren Gemeindemitgliedern. Um diese Bibeln, die z.T. sehr wertvoll waren, versichern zu können, erbaten wir von den Eigentümern neben einigen Informationen auch eine Wertangabe. Bei einer Bibel stand: „Unbezahlbar.“ Bei dieser Bibel handelte es sich jedoch um eine alte, ziemlich zerfledderte, beschädigte und schon recht schäbige Ausgabe einer Lutherbibel. Die Begründung für diese Wertangabe lautete folgendermaßen: Die Besitzerin stammte aus Ostpreußen und hatte diese Bibel zu ihrer Konfirmation bekommen. Als sie 1945 mit ihren jüngeren Geschwistern fliehen musste vor den Russen, war dieses Buch das Einzige, das sie von Zuhause mitnehmen konnte. Da ihre Eltern verschollen waren, ist sie allein im Alter von 15 Jahren mit ihren jüngeren Geschwistern von Ostpreußen zu Fuß bis ins Münsterland geflohen. Immer wenn ihre kleinen Geschwister Angst hatten, wenn sie Hunger hatten und nichts zu essen, wenn sie verzweifelt waren und aufgeben wollten, hat sie ihnen aus der Bibel vorgelesen, die auch ihr Kraft gegeben hat, gegen alle Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit anzulaufen. So hatte sie es mit ihren Geschwistern bis hierher ins Münsterland geschafft. Auch später noch hat sie sich oder ihren Kindern aus dieser Bibel vorgelesen und daraus Mut gewonnen, weil sie eines spürte und wusste: Sie ist niemals allein, Gott ist bei ihr. Die Bibel dieser Frau wurde jeden Abend von mir im Safe unserer Pfarrei deponiert und morgens wieder in die Ausstellung gebracht, denn sie war die einzige, die unersetzlich war.
