Pfarrgemeinde St. Ludger Selm

ermutigend – Impuls 21.08.2020

Was ist Weisheit?

Liebe Leserinnen und Leser!

Was ist eigentlich Weisheit? Welche Menschen würden Sie als weise bezeichnen? Hat das etwas mit Bildung zu tun? Ich bin vielen hochgebildeten Menschen begegnet, doch keinen von ihnen würde ich als weise bezeichnen. Ist es etwa die Klugheit oder die Intelligenz? Ich bin sehr klugen und hochintelligenten Menschen begegnet und doch würde ich sie nicht als weise bezeichnen. Ist es der Erfolg, der weise macht? Ich glaube, das wird jeder verneinen. Was also macht die Weisheit aus, wie wird man weise? Wenn ich das wüsste!
In meinem ganzen Leben bin ich nur einem einzigen Menschen begegnet, den ich als wirklich weise erlebt habe. Dieser Mann lebte mit seiner Familie in der Nachbarschaft meines Elternhauses, er war in meinen Augen als Kind schon ein alter Herr, als ich ihn kennenlernte. Dabei war er wahrscheinlich jünger als ich jetzt bin. Er war kein hochgebildeter Mann sondern eher einfach und bescheiden. Er hat sich nie irgendwie hervorgetan. Er sprach und tat auch nichts Besonderes. Und doch ging von ihm eine ganz besondere Ausstrahlung aus, die mich schon als Kind fasziniert hat: In allem, was er sprach und tat, schien eine ganz besondere Güte hervor. In späteren Jahren hat er einmal im Jahr, zu Erntedank, bei uns in der Kirche gepredigt – mit ganz einfachen Worten, die aber vielleicht gerade deshalb all unsere Herzen erreichten. Dafür hatte der Pastor ihn lange bitten müssen, nicht weil er eitel war und sich geziert hätte, sondern weil er wirklich glaubte, dass er doch gar nichts zu sagen hätte. Dabei hatte er so viel zu sagen!

Seine große Liebe war zum einen seine Frau und zum anderen seine Heimatstadt Münster, die er gern den Menschen als Kiepenkerl nahebrachte. Ich habe mich immer gefragt, was seine große Gabe war. Heute, wo er schon viele Jahre tot ist, weiß ich es: Er schaffte es, in jeden Menschen, dem er begegnete, ein lächelndes Herz hinein zu zaubern. Jedem, dem er begegnete, wurde es warm ums Herz, und wir gingen immer wieder glücklich und beschenkt weiter. Diese Gabe ist für mich bis heute die wahre Weisheit.

„Herr, gib mir ein hörendes Herz!“
(1 Kön 3, 9)