Pfarrgemeinde St. Ludger Selm

ermutigend – Impuls 09.11.2021

Die Seligpreisungen und die Heiligen, Teil I

Manchmal – in wirklich seltenen Fällen – birgt die kirchliche Sozialisation, wie das so schön im Fach-chinesisch heißt, auch Nachteile, die uns hindern, die Brisanz mancher Bibeltexte zu verstehen. So auch im Evangelium von den Seligpreisungen:

Dadurch dass ein Großteil von uns diesen Text von klein auf kennt, ist er für uns völlig selbstverständlich geworden und wird kaum noch hinterfragt. Aber stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten gerade einen geliebten Menschen verloren und wären voller Trauer, und ich würde Ihnen sagen: „Selig seid Ihr, denn Ihr werdet getröstet werden!“ Ich vermute mal, dass die geringste Reaktion Ihrerseits wäre, dass Sie sich abwenden würden. Vermutlich würden Sie mir entsprechendes entgegnen – mit Recht übrigens!

Oder stellen Sie sich vor, Sie wären arm und litten Not, und ich würde Sie abspeisen mit den Worten: „Selig seid Ihr, denn Euch gehört das Himmelreich!“ Die gelindeste Reaktion wäre wohl: „Toll, aber davon werden wir auch nicht satt!“ So könnten wir eine Seligpreisung nach der anderen durchgehen, überall würden wir ähnliche Erfahrungen machen. Hier werden Menschen seliggepriesen, die eindeutig auf der Verliererseite des Lebens stehen – zumindest nach weltlichen Maßstäben.

Und selbst wenn der eine oder andere Glück und Erfüllung dabei findet, Gutes zu tun und barmherzig zu sein, wie oft hat derjenige nicht die Erfahrung machen müssen, die einen guten Freund von mir zu dem verbitterten Ausspruch bewegte: „Tue niemandem etwas Gutes, dann tut Dir auch niemand etwas Böses!“

In vielen Fällen ist dieser Abschnitt aus dem Matthäusevangelium auch bewusst eingesetzt worden, um Menschen auf das Jenseits zu vertrösten, damit sie besser das Elend ihres Lebens aushalten. Das finde ich besonders zynisch und gemein.

Denn so hat es Jesus nicht gemeint! Wie er es gemeint hat, davon mehr im nächsten Impuls.