Die Melodie Gottes in uns finden
Die Adventszeit ist eigentlich zweigeteilt: In der ersten Hälfte des Advents geht es gar nicht um die Ankunft Christi in unserer Welt vor über 2000 Jahren, sondern um seine Wiederkunft, die wir erwarten. Erst in der zweiten Hälfte des Advents werden wir auch durch die biblischen Texte herangeführt an das Geschehen, das damals in Bethlehem seinen Anfang nahm und die Welt verändert hat.
Natürlich ist die Welt auch heute alles andere als heil. Das spüren wir jeden Tag, wenn wir in den Nachrichten von Leid und Tod durch Kriege, Naturkatastrophen und Krankheiten hören. Das war jedoch zu allen Zeiten so. Auch das Volk Israel wartete sehnsüchtig auf den Herrn, den Messias, der es erlösen würde. Deshalb waren seine Gebete durchaus nicht nur mit Klage sondern auch mit Hoffnung und Freude erfüllt. Diese Freude drückt sich für mich in dem Lied „Wachet auf,“ ruft uns die Stimme“ von Philipp Nicolai aus dem Jahre 1597/98 aus, das von einer großen Sehnsucht und unbändigen Freude erfüllt ist. Das Tollste an diesem Lied ist jedoch nicht seine wundervolle Melodie und sein wunderschöner Text (GL 554), sondern seine Wirkungsgeschichte: Als der berühmte Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy das Paulus–Oratorium komponierte, da verwendete er dieses Lied in der Ouvertüre, die den Lebenslauf des Apostels zusammengefasst darstellen sollte. Die Ouvertüre beginnt mit diesem Lied, das zunächst fein und zart erklingt, dann im Laufe seines Lebens als Eiferer gegen Christus immer heftiger, gehetzter, hämmernder wird und dadurch verzerrt, bis es nach dem Damaskuserlebnis voll, klar und herrlich erklingt. Dieses Lied ist nach der Interpretation Mendelssohns Bartholdys die Melodie Gottes im Leben des Paulus.
Genauso trägt jeder Mensch die Melodie Gottes in sich. Sie ist damals vor über 2000 Jahren in dieser Welt voll Unheil erklungen und kein Krieg, keine Katastrophe, kein Elend hat es vermocht, sie in uns zum Schweigen zu bringen. Diese Melodie Gottes in uns ist jedoch eine feine, sehr leise Melodie, die aber die Welt verändern kann, wenn wir sie in uns erlauschen und sie durch uns erklingen lassen. Sie verändert die Welt, weil sie uns verändert zum Guten hin!
