Pfarrgemeinde St. Ludger Selm

ermutigend – Impuls 30.06.20

Für wen gehst Du?

Vor etlichen Jahren, während meines Studiums, stieß ich auf eine kleine Geschichte aus den Erzählungen der Chassidim von Martin Buber, die mich seitdem begleitet und mich nicht mehr loslässt:
In Ropschitz, Rabbi Naftalis Stadt, pflegten die Reichen, deren Häuser einsam oder am Ende des Ortes lagen, Leute zu dingen, die nachts über ihren Besitz wachen sollten. Als Rabbi Naftali sich eines Abends spät am Rande des Waldes erging, der die Stadt säumte, begegnete er solch einem auf und nieder wandelnden Wächter. „Für wen gehst Du?“ fragte er ihn. Der gab Bescheid, fügte aber die Gegenfrage daran: „Und für wen geht Ihr, Rabbi?“ Das Wort traf den Zaddik wie ein Pfeil. „Noch gehe ich für niemand“, brachte er mühsam hervor, dann schritt er lange schweigend neben dem Mann auf und nieder. „Willst Du mein Diener werden?“ fragte er endlich. „Das will ich gern“, antwortete jener, „aber was habe ich zu tun?“ „Mich zu erinnern“, sagte Rabbi Naftali.
(Buber, Martin: Die Erzählungen der Chassidim; Manesse Verlag, Zürich / München 2010, S. 671.)

Ich habe gelernt, mir diese Frage immer wieder zu stellen: Für wen gehe ich? Sie ist ganz wichtig – so glaube ich – für jeden von uns: Wenn wir tagein tagaus in unserem Alltagstrott sind, im Berufsalltag, in der Familie, wo auch immer, dann vergessen wir wirklich manchmal, warum wir dies tun, was der Grund unserer Berufswahl war, was der Sinn und zugleich die Schönheit unseres Lebens ist – kurz: Für wen wir gehen. Die Polizisten, mit denen ich zu tun habe, sehen in ihrem Beruf so viel Schreckliches und Hässliches, dass sie durchaus Gefahr laufen, am Leben und seiner Schönheit zu verzweifeln. Dabei reicht die kleine Frage des Wächters aus, um ihnen den Sinn und den Wert, ja die Schönheit ihres Berufes deutlich zu machen: Für wen gehe ich? Für wen tue ich das alles?
Wir haben Ferien, viele machen Urlaub. Nutzen wir diese Zeit, um unsere Antwort auf diese kleine Frage zu finden – und wir werden froh und glücklich werden.