Pfarrgemeinde St. Ludger Selm

Interview mit Lidia Mauerhöfer

Schulpraktikum im Hospiz

Zimmer im HospizLidia Mauerhöfer ist gerade 18 Jahre alt geworden, wohnt in Lünen und besucht dort die Jahrgangsstufe 12 der Geschwister-Scholl-Gesamtschule. Im Herbst vergangenen Jahres stand das Oberstufenpraktikum an. Nichts Besonderes eigentlich. Doch Lidia hat als erste Schülerin der Schule ein Praktikum im Gebäude direkt gegenüber der Schule gemacht – im Hospiz am Wallgang.

Frage: Lidia, wie bist Du darauf gekommen, ein Praktikum im Hospiz zu machen?

Lidia Mauerhöfer: Es war immer schon so, dass mich Einrichtungen interessiert haben, die eine Besonderheit haben. Das Hospiz wurde gebaut und es kam tag-täglich in meinem Leben vor, dadurch, dass ich es immer gesehen habe, als ich zur Schule gegangen bin. Ich wollte einfach wissen, was da drin passiert.

Frage: Hast Du das Gefühl, dass viele Mitschüler von Dir gar nicht wissen, was in einem Hospiz passiert?

Lidia Mauerhöfer: Ja, schon. Es war auch immer eine typische Reaktion, wenn meine Mitschüler mitgekriegt haben, dass ich ein Praktikum im Hospiz mache, dass sie sagten: „Oh Gott, wie willst du das durchstehen. Guck nach einer Alternative, damit du nicht nachher da sitzt und total traumatisiert bist.“

Frage: Wie ist das Praktikum denn dann für Dich abgelaufen?

Lidia Mauerhöfer: Ich muss erstmal sagen, dass ich von Beginn an total offen mit eingebunden wurde. Sofort. Ich war irgendwie sofort Teil vom Team. Das war sehr, sehr, sehr viel mit Liebe gemacht. Es war schon alles getaktet für mich, das war auch schon Arbeit, aber irgendwie total toll. Ich habe verschiedene Dinge gemacht. Zuerst war ich in der Küche, danach bin ich dann in Kontakt mit den Menschen, also mit den Gästen im Haus, gekommen. Und ich war da sehr frei, in dem was ich machen konnte. Was ich zum Beispiel sehr geschätzt habe, war das ich Zeit hatte, Gespräche zu führen. Selbst wenn ich mal die Aufgabe hatte, Räume sauber zu machen, konnte ich quasi im Raum die ganze Zeit reden. Das war toll.

Frage: Wie würdest Du die Atmosphäre beschreiben?

Wohnbereich im HospizLidia Mauerhöfer: Das wurde ich oft gefragt. Die Atmosphäre war total voller Leben. Also das muss ich wirklich sagen. Das war ein richtig lebendiger Ort. Das habe ich auch in meinem Bericht hinterher noch geschrieben. Es war viel mehr Leben da, als der Tod da war. Natürlich hat man es gemerkt, dass Einschränkungen da waren und es gab auch Momente da hat man gedacht, das belastet einen schon, aber das war immer ein Ort, an dem wie soll ich es sagen…? Da lief Radio, die Menschen wollten immer ein Gespräch führen und sie hatten auch immer was zu sagen, zu erzählen, meine ich.

Frage: Mit welchen Erfahrungen bist Du aus dem Praktikum herausgegangen?

Lidia Mauerhöfer: Mit sehr, sehr großen neuen Erfahrungen. Man hat das Haus von außen beurteilt. Man hört Hospiz, sagt, „Oh Gott“ und dann geht man da rein und merkt, es ist was ganz anderes als alle sagen oder ich das auch gedacht hätte. Ich war total beeindruckt von dem Leben, das da herrscht, von den Menschen, die da gearbeitet haben. Keiner der Mitarbeiter war nur da, um zu arbeiten, sondern um etwas zu geben. Man stand hinter etwas ganz Besonderem. Ehrenamtliche haben eine riesige Rolle gespielt. Das waren immer Menschen, die irgendwie alle so inspirierend waren. Die Menschen waren irgendwie Zuhause.

Frage: Hospiz hat unweigerlich etwas mit Tod zu tun. Wie bist du damit umgegangen?

Lidia Mauerhöfer: Ich fand beeindruckend, wie der Tod in dem Moment behandelt worden ist. Es war total viel Würde da. Aber es war nie so, dass immer der Tod das Thema war. Es herrscht viel, viel mehr Leben.

Frage: Ein lebendiges Haus, so ist es auch von den Mitarbeitern gewünscht…

Lidia Mauerhöfer: Genau. Und das hat man auch überall gemerkt, dass da alle Menschen versuchen, irgendwie miteinander zu sein – positiv zu sein, Zeit zu haben.

Frage: Sind deine Vorstellungen vom Tod beeinflusst worden?

Lidia Mauerhöfer: Ja, schon sehr. Ich glaube, diese Angst vorm Tod spielt ja in Jedem immer mit, aber ich habe einfach gemerkt, dass der Tod ja irgendwie gar nicht so weit weg ist. Ich habe ganz viele Gespräche darüber geführt, was es ist, das man hinterher bereut. Das man viel zu selten wirklich im Leben darauf achtet, wie endlich es ist, sondern dass man es erst tut, wenn es eigentlich zu spät ist und man sich der Endlichkeit plötzlich bewusst werden muss.

Aufenthaltsraum im HospizFrage: Hast Du persönlich eine andere Einstellung zum Leben bekommen?

Lidia Mauerhöfer: Ja schon, ja. Ich muss sagen, allein die Arbeit mit den Menschen mir so viel gegeben hat. In dem Moment hatte man Zeit, für wirklich wichtige Dinge. In diesem Haus war rundum der Fokus auf wichtige Dinge gelegt, weil kein Mensch auf die Idee kommt, der sich so der Endlichkeit bewusst ist, nur an Schwachsinn zu denken. Es war ein total gutes Gefühl. Etwas dass ich immer mitnehme, auch wenn es mir mal nicht so gut geht, ist, ich gehe aus dem Hospiz raus. Für manche ist das der letzte Ort. Für mich gibt es die Chance zu leben.

Frage: Die Menschen im Hospiz wissen, dass sie binnen kürzester Zeit sterben werden. Welche Berührungspunkte hast Du mit den Gästen der Einrichtung gemacht?

Lidia Mauerhöfer: Am Anfang habe ich mir sehr darüber Gedanken gemacht, wie kommt es jetzt zu einen Gespräch? Was sage ich jetzt. Was für Themen kann ich ansprechen – auch Themen wie den Tod? Mein erstes sehr langes Gespräch war dann ganz plötzlich. Irgendwie kam es so. Die Menschen, also die Gäste, kommen auf einen zu. Sie sind auf ganz verschiedene Arten irgendwie offen geworden. Ich hatte das Gefühl, dass die Liebe, die im Hospiz herrscht, die Menschen einfach auch offener gemacht hat. Themen, wie „Was hinterlasse ich?“, „Wie habe ich gelebt?“ oder das Hinterfragen aller Dinge, die man tut,  oder dass man gar nicht bereuen muss. Die Gespräche, an die ich mich am meisten erinnern kann, drehten sich um die Frage: Worum geht´s im Leben?

Frage: Hat dich das Praktikum  in deiner Berufswahl beeinflusst?

Lidia Mauerhöfer: Pfleger wäre jetzt nicht mein Beruf, aber in der Zeit, in der ich da war, habe ich Dinge gelernt, die so viel weitergingen als Dinge, die ich in der Schule lerne.  Ich hinterfrage seitdem auch vieles mehr, ich habe viel mehr Lust, etwas mit dem Leben zu machen. Das Größte was ich gelernt habe: Wie wertvoll das Leben ist. Dass es gar nicht um diese Endlichkeit geht oder was ich damit mache, sondern was mache ich im Leben. Es geht um jeden Tag.